Adventsgeschichte

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Dies ist keine Weihnachtsgeschichte, sondern die Erzählung über einen Tag im Advent im Kloster. Ich habe ihn für die "Weihnachtspost" der "Schaffhauser Nachrichten" geschrieben. Aber ich denke, er passt doch ganz gut hierher.

 

Advent im Kloster

. . . denn es kommt der König der Herrlichkeit

Fünf Mal schlägt der mächtige Hammer auf das tonnenschwere Erz und lässt die tiefe Glocke vom Südturm in die kristallklare Nacht hinausdröhnen. Dann ist es wieder vollkommen still. Ich stehe auf, öffne heute aber das Fenster nicht. Es ist mir entschieden zu kalt draussen. Ich mache Morgentoilette, muss mich beeilen: bei uns beginnt alles pünktlich. Um Viertel nach Fünf erwachen die anderen Glocken, heben zum morgendlichen Reihengeläut an. Ich schlüpfe in die schwarze Kutte, werfe das Skapulier mit der Kapuze über und gehe hinunter in die Kirche zurMatutin. Mitbrüder begegnen mir. Schritte hallen durch die hundertfünfzigMeter langen Gänge, die lediglich an den Treppen schwach erhellt sind. Kein Wort. Stille und Schweigen - nur die Schritte und von draussen dieGlocken.

Die Kirche ist noch dunkel. Im Oberen Chor brennen Kerzen: dünne, weisse auf dem Kreuzaltar, eine rote, dicke unten auf dem Parkett. Die rote, dicke steht in einem Gesteck aus Tannreis. Sie ist erst seit ein paar Tagen da. Nächste Woche werden es zwei sein, dann drei und schliesslich vier. Es ist Advent - Advent im Kloster.

Unter allen Türen erscheinen Mönche, reihen sich ins Chorgestühl ein und schlagen die Vigilbücher auf. Über den Stallen gehen nach und nach die Lampen an. Es schlägt halb sechs, und der Vorbeter hebt die Stille auf: "Herr öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde. So beginnt jeder Morgen hier im Stift der Benediktiner von Einsiedeln. Aber der Leitvers, den der Kantor jetzt anstimmt, sagt uns klar, an welcher Stelle im Kirchenjahr wir heute stehen: "Den Herrn, den König der kommen wird - kommt, wir beten ihn an. "Advent ist eine schöne Zeit, ich liebe sie. Ich glaube, keine andere Zeit des Jahres lädt so innig zur Besinnung ein, weckt so tiefe Erwartungen und Vorfreuden. Gegenchörig singen wir nun den ersten Hymnus an diesem Morgen: "Erwartet den Herrn, steht als Knechte bereit an der Tür. Schon jauchzt jeder Stern, sehr er kommt, seht er kommt, wir sind hier. Komm, Herr Jesus, Maranatha. " Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass man früh am Morgen, ohne die Stimme anzuwärmen, sozusagen, aus dem Stand heraus, singen kann. Wir tun es alle Tage.

Manchmal allerdings entgleiten die Gedanken - werden ganz weltlich: Wie's doch; schön wäre im Bett, zum Beispiel. Dann denke ich daran, wie jetzt andere Menschen unterwegs sind. Leute, die zur Frühschicht fahren, zu einer Arbeit die sie womöglich hassen, die sie aber einfach tun müssen, um zu leben. Ich darf Psalmen singen. Dann bin ich wieder dankbar. "Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch ihr uralten Pforten, denn es kommt der König der Herrlichkeit. Wer ist der König der Herrlichkeit? Der Herr der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit. "Auch die Lesungen, die wir jeweils nach drei Psalmen sitzend anhören, künden das kommende Ereignis. Ein Novize liest aus Jesaja, dem Messiaspropheten.

Sechs Uhr ist schon vorüber, der Chor wird leer, die Lampen gehen aus, dann auch die Kerzen. Noch immer ist Nacht - und wieder Stille. Ich bleibe allein in der Dunkelheit, ziehe die Ruhe in mich Illustrastion von Harry Greis hinein - ich weiss: draussen beginnt der Werkverkehr. Wenn ich jetzt einem Mitbruder in den Gängen begegne, nicken wir uns zu - kurz nur und ohne stehen zu bleiben - aber es ist, als ginge eine Schwingung von diesem Nicken aus. Eigenartig, wie man in der Stille oft etwas aufnimmt, ohne ein Wort über die Lippen zugeben.

Das Morgenessen nehmen wir schweigend ein. Wir wollen den Bogen von der Matutin zur Eucharistiefeier nicht stören. Dann ziehen sich die meisten zurück zu ihrer Meditation. Es braucht dazu keine umständliche Technik. Was wir in Gebet und Lesungen aufgenommen haben, lassen wir ganz einfach in die Tiefe wirken, wie ein Farbstoff, der in einen Teichgeworfen, allmählich das Wasser gleichmässig einfärbt.

Zum Konventamt, der gemeinsamen Eucharistiefeier der Klostergemeinschaft, kommen alle im Unteren Chor zusammen. Jetzt wird's doch etwas geschäftiger, wenigstens für die Sänger der Choralschola. Wir müssen eine ganze Reihe Bücher aufschlagen und bereitlegen: Graduale, Antiphonale, Kyriale. Die Adventszeit wird nun auch nach aussen sichtbar: Violett ist die Farbe der liturgischen Gewänder, die Altäre entbehren den Blumenschmuck, die Gesänge bleiben unbegleitet, die Orgel schweigt. Welch ein Kontrast dann an Weihnachten, wenn die Kirche in ihrem schönsten Festtagsglanz strahlt, mit Christbäumen, Krippen und vielen Kerzen, wenn der Chor eine Orchestermesse aufführt und der Abt mit Mitra und Stab dem feierlichenHochamt vorsteht. Aber noch ist es nicht so weit. Noch warten wir auf das Christuskind.

Die Texte, die wir nun nach den uralten Weisen des gregorianischen Chorals singen, sprechen von diesem Warten und werden intensiver von Tag zu Tag: "Der Herr wird kommen und nicht zögern. Er wird die Finsternis in Licht verwandeln und sich allen Völkern offenbaren. " Einem Sänger entgleitet das Notenblatt und segelt in den Chor hinaus. Der Gesang wird dünn, die Mundwinkel verziehen sich. Auch Mönche sind Menschen. Aber jetzt ist die Fassung wieder da. "Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Strassen! Alle werden das Heil sehen, das von Gott kommt. Halleluja. "Es ist halb neun und endgültig Tag.

Nach dem Konventamt beginnt die tägliche Arbeit. "Ora et labora" nennt das der Benediktiner, und da wird zugepackt bis zum Mittag. Die einen unterrichten in der Stiftsschule, andere kochen, nähen Kutten, bereiten die Predigt vor, pikieren Geranien, buchen Ein- und Ausgaben, kaufen ein, dozieren. Ich gehe zur theologischen Vorlesung, heute zum Thema: "Fundamentale Elemente der Sakramentalität der Sakramente in heilsgeschichtlicher und ontologisch-antropologischer Sicht. " Na ja -Examen sind, Gott sei Dank, erst an Ostern.

Vom hektischen Vorweihnachtsbetrieb spüren wir hier nichts. Nur vom Klosterwald herrotzt zwischendurch eine Motorsäge. Der Förster wird unsere Christbäume schlagen. Patres in Seelsorge und Schule allerdings, werden auf das Fest hin doch etwa mit Vorbereitungen und Weihnachtsfeiern in Beschlag genommen. Erst am Heiligen Abend werden wir die Kirche und das Refektorium weihnachtlich schmücken. Dann stellen wir auch die Krippen auf. Aber bis dahin bleibt alles schlicht und einfach - es bleibt Advent.

Dem Mittagsgebet folgt das Mittagessen, dem Mittagessen der schwarze Kaffee, ein kleiner Spaziergang oder ein kurzes Schläfchen, dann nimmt uns die Arbeit wieder in Anspruch - bis wir uns im bereits düsterwerdenden Klostergang zur Vesper aufstellen.

Die Vesper singen wir lateinisch, wie das vor uns die Mönche seit mehr als tausend Jahren getan haben. Immer sind auch viele Leute in der Kirche, um mit uns gemeinsam diesen abendlichen Gottesdienst zu feiern. Die Antiphone zum Magnificat sind in der Adventszeit besonders schön und sie steigern sich in ihrer Innigkeit bis hin zum Weihnachtsfest. "Rorate Coeli" - "Tauet Himmel denGerechten, Wolken regnet ihn herab. ""O Oriens, splendor lucis aeternae et sol iustitiae. " - "O Morgenstern, Glanz des ewigen Lichtes und Sonne der Gerechtigkeit: komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und imSchatten des Todes."

Dann ziehen wir zur Gnadenkapelle. Im schleppenden Gleichtritt bewegt sich der Zug langsam durch das Kirchenschiff. Dort singen wir das berühmte mehrstimmige "Salve Regina", das die Einsiedler Mönche seit vierhundert Jahren täglich bei der Kapelle anstimmen. Jetzt im Advent bekommt dieser Gruss an Maria besondere Bedeutung: Sie, die werdende Mutter des erwarteten Erlösers. Die Ruhe, die uns nun auf dem Weg in die Zellen umgibt, bewahren wir uns beim Lesen noch eine zeitlang, ehe wir abermals zur Arbeit zurückkehren.

Benedikt weist in seiner Regel der geistlichen Lesung eine wichtige Rolle zu. Hier tanken wir auf und denken nach. Ich vertiefe mich in einen Evangelienkommentar, während sich draussen vor dem eisbeschlagenen Fenster die Nacht über das Kloster legt. Da blicke ich auf. "Wie ein Adventskalender", denke ich und betrachte das Konventgebäude auf der anderen Seite des Innenhofes: Die Mauern dunkelgrau, durchbrochen von drei übereinander liegenden Reihen gelben und rötlichen Fenstern, hinter den schwarzen Giebeln die Türme im Gegenlicht der Fassadenbeleuchtung, darüber das Königsblau des Abends. Ich weiss, draussen beginnt der Feierabend und die Menschen zwängen sich jetzt durch die Strassen, stehen in Staus oder eilen noch durch die Läden.

Wir können niemandem Geschenke kaufen, erwarten aber auch keine. Zugegeben, so gegen das Fest hin liegen im einen oder anderen Fach der Klosterpost dann doch mal in Festpapier eingewickelte Gegenstände, die ihrer Form nach unschwer als Flaschen identifiziert werden können.

Das Nachtessen nehmen wir, wie jede Mahlzeit, schweigend ein und hören dabei dem zu, was uns der Leser auf der Kanzel vorliest. Es ist meistens interessant. Aber heute beschäftigt mich ein anderes Problem: Die Beleuchtung der Krippe hier im Refektorium muss dieses Jahr unbedingt besser werden. Ich glaube, ich habe eine Lösung. Draussen steigt Nebel auf. Noch eine knappe Stunde sitzen wir zusammen und plaudern, ehe uns die Abendglocke zur Komplet ruft.

Es schlägt gerade acht, wie wir uns zum Nachtgebet in die Kirche begeben. Wenn draussen der Abend erst richtig losgeht, wenn Diskjockeys Platten auflegen, Filmhelden über Kinoleinwände und Fernsehschirme jagen, Wirte Flaschen entkorken und Jasskarten bereitlegen, wenn Gäste bei Gastgebern an Türen klopfen und Präsidenten Vereinssitzungen eröffnen - dann beginnt im Kloster die Nachtruhe und das grosse Stillschweigen. "Herr auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben", singen wir als letzten Antwortgesang dieses Tages und unser letzter Gruss gilt nochmals Maria.

Mit einer Antiphon, die zu keiner Zeit des Jahres in einer so herrlichen, in kühnem Bogen aufsteigenden Melodie erklingt, wie jetzt im Advent: "Alma Redemptoris Mater - Erhabene Mutter des Erlösers, du allzeit offene Pforte des Himmels und Stern des Meeres, komm, hilf deinem Volke, das sich müht, vom Falle aufzustehen. Du hast geboren, der Natur zum Staunen, deinen heiligen Schöpfer. Unversehrte Jungfrau, die du aus Gabriels Munde nahmst das selige Ave, o erbarme dich der Sünder. "



Harry Bruno Greis

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