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Dann ging die teure Uhr kaputt

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Dann ging die teure Uhr kaputt

Eine Weihnachtsgeschichte von Harry Greis

Keuchend und völlig außer Atem türmte Yvonne alles, was sie in Taschen, Papiersäcken, Einkaufskörben eben mit knapper Not die Treppe hinauf gestemmt hatte, auf den Küchentisch:«Mist, den Weihnachtsstollen hab ich vergessen!»

Obwohl er in der Stube vor dem Fernseher sass und sich bisher überhaupt nicht um das gekümmert hatte, was seine Frau in der Küche tat, hörte Bruno das Stichwort. Weihnachtstollen mochte er nämlich fürs Leben gerne.«Das sieht dir wieder ähnlich. Hast’s womöglich extra gemacht.»

«So ein Blödsinn - extra gemacht. Du hättest mir besser beim Einkaufen geholfen. Steht wenigstens der Christbaum?»

«Das hat Zeit.»

«Zeit, Zeit, alles hat bei dir Zeit, und ich muss hetzen und machen. Hättest mal sehen sollen, wie viele Leute jetzt noch beim Einkaufen sind.»

«Hat jemand gesagt, man solle erst am Heiligen Abend einkaufen?»

Yvonne hüpfte ins Kinderzimmer hinüber. War das wieder eine Stimmung zu Hause. Wenigstens spielten die Kinder friedlich. Der zehnjährige Kay malte mit Wasserfarben, und Elvira, sein achtjähriges Schwesterchen, fütterte seine Puppe.

«Spielt schön weiter, bald kommt das Christkind», mahnte die Mutter, «und es kommt wirklich nur zu braven Kindern.»

Der Berg Arbeit, der noch vor ihr lag, schien unüberwindlich und stresste sie. Schnell zog sie den Kopf aus dem Kinderzimmer und hetzte zurück in die Küche.

«Jetzt hast du ja immer noch nicht angefangen, den Christbaum aufzustellen», schimpfte sie erneut und hantierte merklich lauter, um ihrem Mann zu zeigen, wie sehr sie alles alleine tun müsste.

«Herrgott noch mal, ich wollte noch den Film fertig sehen», knurrte Bruno und sprang nicht weniger lärmend auf, drehte den Fernsehapparat mit Getöse aus und griff sich den Christbaum vom Balkon.

Funken sprangen nicht erst seit Neustem in dieser Ehe. Aber die Gründe, worüber sie stritten, waren geradezu inflationär. Es genügte ein Wort, eine Geste und im Dach war wieder Feuer. Manchmal lag die Schuld bei ihm, dann wieder bei ihr. Meistens aber fehlte es beiden ganz gehörig an Toleranz.

Bruno schleppte nun den wuchtigen Tannenbaum in die Stube und zwängte den Stamm in den Eisenfuß.

«Pass auf, du machst eine Sauerei», keifte nun wieder Yvonne und stellte sich unter die Stubentüre.

«So, jetzt lass mich machen und tu deinen eigenen Kram.»

«Du wirfst noch etwas hinunter – pass auf - das Stubenbüffet - oje!»

Als Bruno den Baum hochstellte, fegte er mit den Ästen die wertvolle Keramikuhr vom Büffet und sie zersprang in tausend Scherben.

Und mit diesen Scherben war auch der Hausfriede endgültig zerbrochen. Yvonne schrillte, weil die Uhr damals ein Hochzeitsgeschenk einer Schulfreundin war, und Bruno röhrte: «Hättest du dich nicht eingemischt, wäre nichts passiert.»

Die Kinder hatten aufgehört zu spielen. «Immer sagen sie, wir dürfen nicht streiten und tun es selber», flüsterte Kay.

«Ja, und wenn sie nicht brav sind, kommt das Christkind gar nicht», befürchtete Elvira.

Sie schlichen leise in den Gang hinaus und spähten in die Stube, wo der Ehezwist eben seinen Höhepunkt erreichte:

«Alles ist deinetwegen, weil du nur immer an dich, deinen Fernseher und deinen Beruf denkst.»

«Ach, und wer bringt den Zaster nach Hause? Wer verdient die Brötchen?»

«Du lässt mich ja nicht arbeiten gehen. Ich würde auch mitverdienen.»

«Das fehlte gerade noch, schau zu den Kindern und koche anständig. Wäre besser, als immer in den Weibervereinen rumzuhocken und in die Kirche zu rennen.»

«Sei du nur froh, das verbietet mir nämlich, dich zu hassen.»

Kay und Elvira zogen sich erschreckt in ihr Kinderzimmer zurück. Die Streitereien der Eltern machten sie traurig, und gerade heute, wo doch Heiliger Abend war.

«Es ist wegen der Uhr, die Papi kaputtgemacht hat», flennte Elvira.

Kay überlegte mit einer Sorgenfalte, die so gar nicht in sein Kindergesicht passte, dann platzte er heraus: «Weißt du was, wir kaufen Mami und Papi eine neue Uhr, und dann sind sie wieder lieb zueinander.»

Zwei ungläubige Augen wurden noch größer: «Hast du denn Geld?»

«Wir metzgen unsere Sparsäuli.»

«Das dürfen wir nicht.»

«Warum nicht? Wir machen ihnen doch eine Freude - glaub mir, die freuen sich dann.»

Zwar hatte das Donner und Doria in der Stube etwas nachgelassen, die Mutter hatte die Scherben weggeräumt und hantierte wieder in der Küche und der Vater bemühte sich, in seinem Zorn wenigstens den Christbaumschmuck nicht auch noch kaputt zu machen, aber es genügte den Kindern, unbemerkt ihre Sparschweinchen am Bettrand aufzuschlagen, die Jacken anzuziehen und sich heimlich nach draußen zu schleichen.

Sie waren fest entschlossen, ihr Erspartes zu opfern. Wie teuer das Schmuckstück in Wirklichkeit war, konnten sie natürlich nicht abschätzen.

Die Straße glich einem Irrenhaus. Schon die ganze Vorweihnachtszeit durch hatten Hektik und Unruhe die Menschen umhergetrieben, aber jetzt, knapp vor Ladenschluss eskalierte der Massenstress. Leute eilten, ja schwirrten geradezu wie Wespen von Laden zu Laden, weil ihnen noch dies und das in den Sinn kam, das sie noch nicht eingekauft hatten. Man hätte meinen können, ab morgen gäbe es eine Hungersnot und alles würde rationiert.

Die Dämmerung hatte sich auf die Stadt gelegt und der Nordwind blies eisig kalt. Der Schnee auf den Straßen und Trottoirs war schmutzig und zertrampelt, die Schaufenster grell erleuchtet, überall brannten elektrische Kerzen, es roch nach Marroni und von irgendwoher schwebte der Klang von weihnachtlicher Blasmusik.

Die beiden Kinder, die sich an der Hand haltend durch das Gewühl zwängten, erstrebten nur ein Ziel: Sie wollten für ihre zerstrittenen Eltern eine Uhr kaufen, damit das Fest am Abend doch noch ein frohes würde. Kay erinnerte sich, schon vor Tagen im Schaufenster des Warenhauses, oben am Fron wag platz solche Uhren gesehen zu haben. Schon stellten sie sich auf die Zehen, drückten ihre Nasen am Fensterglas platt und suchten nach einer, die der Kaputtgegangenen am meisten glich.

«Ihr könnt da nicht mehr hinein!» Ein Mann am Eingang hielt die Kinder zurück. Wir schließen.»

Kay und Elvira erschraken. Jetzt, wo sie so nahe am Ziel waren, den Familienfrieden zu retten, sollte ihnen das noch verwehrt werden?

Aber das Bienenhaus vor dem Eingang hielt den armen Mann auf Trab. Wie Hyperventilierte gerieten viele in Torschlusspanik und er musste sie auf allen Seiten abweisen. So schlüpften die Kinder hinter seinem Rücken durch und schafften es nach innen.

*

Zu Hause war es ganz ruhig geworden. Bruno hatte sich eine Pfeife angesteckt, um besser den Mund halten zu können, und schmückte den Christbaum. Yvonne ihrerseits schmollte in der Küche still vor sich hin. Das ging lange so, und keiner bemerkte das Fehlen der Kinder.

Draußen hatte die frühe Nacht die Herrschaft übernommen. Die Straßen lichteten sich rasch und gründlich - schneller als zu jeder anderen Zeit des Jahres. Das Verkaufspersonal bemüht, zügiger als sonst nach Hause zu kommen, hatte die Berufsschürzen ausgezogen und die Ladentüren geschlos sen. Endlich war der Heilige Abend da.

«Weißt Du, wo die Kinder sind?» rief Yvonne, als sie die beiden zum Baden holen wollte und das Kinderzimmer leer vorfand.

«Woher soll ich das wissen? Bin ich denn ihr Hüter?» knurrte Bruno sich wieder vor den Fernseher setzend. Den Baum hatte er fertig dekoriert. «Die spielen wohl noch draußen!»

«Draußen spielen, so ein Unsinn, bei der Kälte», maulte die Mutter, allerdings leise, denn irgendwie sollte doch endlich ein wenig Frieden einkehren. Sie öffnete das Fenster und schaute in den Hof, rief die Namen, stieg in den Keller hinunter, in die Waschküche, in die Garage, hetzte hinauf in den Estrich - nichts.

«Das ist ungewöhnlich, sie sind nirgends», sagte sie in einem jetzt sorgenvolleren Ton zu Bruno.

«Sie werden bei jemandem in der Wohnung sein, frag nach.»

Yvonne klopfte an die paar Wohnungstüren von Leuten, bei denen sie ihre Kinder vermutete, aber niemand war in der Lage, ihr zu helfen. Jetzt erst erfasste auch den Vater eine gewisse Unruhe: «bei Freunden - sie sind gewiss bei Freunden.»

Yvonne wählte ein paar Telefonnummern. Nichts. Nun bequemte sich Bruno endlich aus seinem Fernsehsessel. Er trat ins Kinderzimmer: «Kay, Elvira, los, es war bis jetzt lustig. O. K. ihr habt euch versteckt. Nun kommt hervor! Ihr seid im Schrank, nein - aber unter dem Bett - was ist denn das?» Bruno hielt ein paar rosarote Scherben in der Hand.

«Ihre Sparsäuli.»

«Was heißt das?»

«Sie haben die Kässeli aufgeschlagen - sie sind weg. Jesses!»

Bruno schmetterte die Scherben in eine Zimmerecke: «Was ist denn das für ein Gehabe. Spinnen denn jetzt in diesem Affenhaus alle!»

«Nicht schon wieder, Bruno, bitte nicht schon wieder. Lass uns lieber überlegen, wo sie hingegangen sein könnten.»

«Du hast eigentlich recht. Schon einmal sind sie ausgerissen. Sie sind damals nicht weit gekommen.»

«Nur, da war Sommer. Und zudem ist heute Heiliger Abend, welches Kind läuft da schon einfach weg. Die hatten ja gar keinen Grund, spielten so schön heute Mittag.»

Bruno zog den Mantel an: «Ich gehe mal auf die Gasse, rufe du inzwischen alle möglichen Leute an. Später telefoniere ich aus einer Kabine. O. K.?»

Stinksauer stapfte der Mann durch die leeren Gassen der Stadt. Zu allem Elend setzte noch Schneefall ein. Unter normalen Umständen trüge das zur Weihnachtsstimmung bei. Nur jetzt war ihm überhaupt nicht um Weihnachten. Wo nur sollte er anfangen zu suchen. Am Bahnhof vielleicht, wo es immer Leute gab und wo die Heilsarmee ihre Ständchen spielte, oder beim Schulhaus, beim Münster?

Noch immer missmutig überquerte er den Fronwagplatz und streifte ganz zufällig ein Schaufenster. «Verdammt noch mal. Wegen der Uhr hat das ganze Affentheater doch angefangen». «Wegen der Uhr?» Seine Füße stoppten. Lange starrte er in das festlich dekorierte Schaufenster. «Der Streit», dachte er, «Ja, der Streit. Schon im Sommer war das so. Damals hatten wir uns beinahe geprügelt, und plötzlich hatten die Kinder gefehlt.»

Bruno ahnte nicht im Geringsten, wie nahe er bei seinen Kindern stand. In der Endphase vor Ladenschluss war in dem Warenhaus alles aus dem Ruder gelaufen. Aus irgendeinem Grund hatte der Lift im Kellergeschoss angehalten und Elvira und Kay waren ausgestiegen. Alle Angestellten hatten nur ans Dichtmachen gedacht. Die Lichter waren ausgegangen, die Türen wurden verschlossen. Niemand hatte die Kinder bemerkt.

Yvonne flennte. Schon das x-te Telefon zu Verwandten und Bekannten. Das Einzige, was sie damit erreichte, war Bestürzung, Aufregung, ein paar gute Ratschläge - ja, und den Vorwurf ihrer Mutter, endlich besser zu den Kindern zu schauen und nicht immer vor ihren Augen den ganzen Ehefrust auszuspielen.

Es war schon nach Acht, als Bruno anrief: «Ich weiss nicht weiter - du weinst?»

«Niemand kann sagen, wo sie sind. Dein Bruder kommt rüber, will uns suchen helfen.»

«Ich weiss keine andere Möglichkeit, ich gehe zur Polizei.»

«Oh Gott, wenn da nur nichts passiert ist.»

Yvonne setzte sich in der Stube neben den Christbaum, an dem sich in dieser Nacht noch keine Kerzen in Kinderaugen gespiegelt hatten, und heulte los. Ist das eine Weihnacht! Und während sie ihr Taschentuch wässerte, versuchte sie ihr Gewissen zu beruhigen. «Wir sind doch gute Eltern. Wir geben unseren Kindern alles, was sie brauchen und manches, was sie sich wünschen. Wir nehmen sie mit in die Ferien, beschenken sie zu Weihnachten.»

Die Mutter schaute traurig zu den ungeöffneten, hübsch eingewickelten Päcklein unter dem Christbaum: «Aber geben wir Kay und Elvira auch ein gutes Beispiel? Leben wir ihnen vor, was wir ihnen ständig predigen?

Der diensthabende Offizier auf dem Posten der Kantonspolizei runzelte die Stirne: «Also, wenn Kinder in diesem Alter an einem Heiligen Abend nicht nach Hause kommen, dann müssen wir zuerst einmal auf ein Kapitalverbrechen schließen.»

Bruno erschrak: «Mein Gott, das darf doch nicht passiert sein.»

«Ich will Sie anderseits nun aber auch nicht verunsichern», beruhigte der Polizist, «Weil sie offensichtlich ausgerissen sind und weil sie ihr Kässeli geleert und somit Geld mitgenommen haben, könnte das doch ein Indiz dafür sein, dass sie irgendwo hingegangen sind, sich jetzt versteckt halten oder in der Gegend herumirren.»

«Meine Frau hat überallhin telefoniert.»

«Ich werde Leute aussenden - wie gesagt, wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Wir werden dazu auch die Hilfe der Stadtpolizei benötigen. Ich frage mich wirklich, was Kinder für einen Grund haben könnten, zu dieser Zeit auszurücken. Haben Sie sie geschlagen?»

«Nein, wir ließen sie im Zimmer spielen.»

«Sapperlot, aber etwas muss doch passiert sein!»

«Nun, äh ... meine Frau und ich haben uns gestritten - wir streiten uns öfters. Schon im letzten Sommer sind sie bei einer unserer Streitigkeiten weggelaufen.»

Der Offizier schwieg eine Minute und schaute Bruno betroffen an. Dann griff er zum Telefonhörer: «Ihre inneren Familienangelegenheiten gehen mich ja nichts an, aber ich würde nun doch sagen: fifty-fifty. Halbe Möglichkeit: davongelaufen, halbe Möglichkeit: Verbrechen. Ich biete die Leute auf. Haben Sie Fotos dabei?»

«Ach ja, hier zufällig, im Portemonnaie habe ich Bilder der Kinder.»

«Gut, ich gebe das auch im Lokalradio durch. Sie gehen dann besser zu Ihrer Frau nach Hause. Wie gesagt, Ihre Familienangelegenheit geht mich nichts an, aber vielleicht machen Sie sich zusammen doch ein paar Gedanken zu Weihnachten.»

Die verschneiten Straßen der Stadt erwachten plötzlich wieder zum Leben. Uniformierte und zivile Polizisten suchten in allen Richtungen und am Stadtrand kreuzten Streifenwagen. Für den Kommandanten der Aktion eine schier auswegslose Sache. Er gab keinerlei Spuren. Das Letzte, was man von den Kindern wusste: Sie malten und spielten mit der Puppe im Kinderzimmer. Selbst der Suchhund hatten keine Chance. Er witterte zwar sofort eine Spur, kam aber auf dem Fronwagplatz vor dem Warenhaus auch nicht mehr weiter.

Zu Hause harrten Bruno und Yvonne zusammen auf dem Sofa. Eugen war rüber gekommen, aber außer einfach da zu sein, nützte er nichts. Zwischendurch schellte das Telefon und sie zuckten jedes Mal Illustrastion von Harry Greiszusammen. Verwandte erkundigten sich nach dem Stand der Dinge. Sonst dominierte bedrückende Stille. Zum ersten Mal seit langer Zeit hielt sich das Ehepaar an den Händen und zum ersten Mal seit Jahren liefen ihnen gemeinsam die Tränen. Spät in der Nacht dann endlich der Anruf des Polizeioffiziers: «Wir haben ein Lebenszeichen.»

«Gott sei Dank, wo sind sie?»

«Das können wir erst vermuten. Eine Hörerin des Radios hat soeben angerufen. Sie ist Verkäuferin im Warenhaus am Fronwagplatz. Sie erinnert sich genau an die beiden Kinder. Sie sagt, unmittelbar vor Ladenschluss, als letzte Kunden habe sie die beiden bedient.»

«Ah, das Geld aus dem Sparsäuli. Sie wollten etwas kaufen. Was war es?»

«Eine Uhr.»

«Was sagen Sie, eine Uhr?»

«Ja, sie erinnere sich ganz genau, denn die Kinder wollten unbedingt eine der teuersten Uhren aus Keramik. Aber die paar Franken hätte da überhaupt nicht ausgereicht. Sie kauften dann eine Uhr aus Plastik. Irgend so einen Wecker.»

«Mir geht ein Licht auf.»

«Uns auch. Wir werden jetzt das Warenhaus kontaktieren. Da rundet ein Nachtwächter. Ich gebe Ihnen sofort Bescheid, wenn sich etwas ergibt.»

Bruno sah alles buchstäblich durch Wasser. «Sie haben ihr Erspartes genommen und wollten uns eine Uhr schenken, weil wir die auf dem Büffet zerbrochen und uns deswegen gestritten haben», flüsterte er fast tonlos und setzte sich wieder zu Yvonne. «Was sind wir für Eltern.»

Sie fanden die Kinder tatsächlich im Untergeschoss des Warenhauses. Eng umschlungen kauerten sie auf einem Fauteuil im Möbellager. Auf den Backen vertrocknete Tränen. Kay hatte den einen Arm um das Schwesterchen gelegt, mit der anderen Hand hielt er krampfhaft einen Papiersack mit einem weihnachtlich aufgemachten Päcklein. Als die Lichter ausgegangen waren, hatten sie sich heulend und schreiend durch die Gänge zwischen den Gestellen getastet. Am anderen Ende brannte eine Kontrolllampe. Aber auch die Türe bei der Kontrolllampe war verschlossen, das Telefon an der Wand für den Buben wertlos. Er kannte ja das System eines großen Betriebes nicht, wo zuerst eine Linie gewählt werden musste. Aus Angst vor der Dunkelheit hatten sie sich nicht mehr zum Lift zurück gewagt. So hatten sie sich dann auf das Möbel fallen lassen, wo sie schließlich eingeschlafen waren. Es ging schon auf Mitternacht zu, als zwei Polizisten die Kinder nach Hause brachten.

«Mami, Papi!» riefen sie und weinten wieder, diesmal vor Freude.

Die Eltern schlossen sie in die Arme. Küssten sie, strichen ihnen übers Haar und waren glücklich. 

Die Kerzen des Christbaums kamen erst am nächsten Abend zum Einsatz. Aber das Weihnachtsfest in der Familie strahlte dafür umso schöner. Und unter den Geschenken, die man sich gegenseitig in die Hände legte, war auch eine einfache, billige Uhr aus Plastik. Eine Art Wecker mit einem Läutwerk. Sie hatte nicht die geringste Chance gegen die stolze Keramikuhr. Aber sie steht noch heute auf dem Büffet in der Stube, und immer, wenn einer, aus welchem Grund auch immer, zu streiten beginnt, geht der andere hin und lässt die Glocke rasseln, und - nicht immer zwar, aber meistens doch – hilft das.

Harry Greis

 

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