Einkausbummel in ZürichSmallheader Kurzgeschichten

➥ zurück zur Erzähler-Hauptseite

Zugegeben, heute stehen uns ein paar technische Hilfsmittel mehr zur Verfügung als damals in den Achtzigern, auch hat die Stadt Zürich gewiss ein paar Verkehrsführungen verbessert, aber im Grund genommen trifft der Hammer dieser Glosse noch immer auf den Nagel - und mancheiner oder mancheine, die von auswärts in die Limmatstadt kommen, werden sich darin wiedererkennen. Zürich ist trotz allem immer meine Lieblingsstadt geblieben.

 

 

 

Einkaufsbummel in Zürich


Eine Kurzgeschichte von Harry Greis

Ich stand in der Limmatstadt vor einem Kleiderladen, irgendwo in der Nähe des Volkshauses, und sah zu meiner Freude in einem der Schaufenster eine gediegene, weisse Jacke, so wie man sie damals trug, und wie ich sie mir schon lange gewünscht hatte. Ich musste das Ding haben. Sie sass ausgezeichnet und die Verkäuferin lächelte mir zu. «Gekauft», sagte ich und öffnete meinen Geldbeutel. Das Geld, das ich dabei hatte, reichte nicht. «Nun, kein Problem», sagte ich zur netten Frau. «Ich habe eine Postomatkarte und werde schnell zum Bahnhof fahren. Im Shopville gibt's einen Postomaten. Ich bin in einer halben Stunde zurück».

Eigentlich hätte ich zu Fuss gehen können. In etwa zehn Minuten wäre der Weg vom Helvetiaplatz zum Hauptbahnhof zu schaffen. Aber es war grausam heiss, und ausserdem sollte ich gleich noch dringend auf die Toilette. So nahm ich meinen Wagen vom Gratis-Parkplatz und schleuste mich in den Samstagnachmittagsverkehr mit dem Ziel: Sihlparkhaus.

Da vorne muss man irgendwo links abbiegen. Stauffacherstrasse - Zweierstrasse ist Linksabbiegeverbot und auch bei der nachfolgenden Werdstrasse. Ich fahre über die Sihlbrücke. Was ich vorahne, trifft zu: auch in die Löwenstrasse darf ich nicht einbiegen. So ein Mist, jetzt kommt schon der Bleicherweg, da werde ich links zum Paradeplatz schwenken. An der Kreuzung hängt die Verbotstafel mit dem Pfeil nach links, den ich langsam, aber sicher zu hassen beginne. Rotlicht, Linksabbiegeverbot, Rotlicht. Schon bin ich fast am See und fluche leise vor mich hin. Ich sehe mich im Geist bereits über das Bellevue kreuzen.

Davon bleibe ich verschont. Endlich kann ich links abschwenken. Ich bin jetzt weiter vom Bahnhof entfernt, als zu Beginn. Wenigstens fahre ich jetzt aber in die gewünschte Richtung. Die Uraniastrasse ist verstopft. Ich suche eine Parklücke, finde keine, nicht einmal eine verbotene. Da stehen schon andere. Ich fluche schon lauter. Bis hierher habe ich - gewohnt von der Schaffhauser Rotlichtaktion - brav den Motor abgestellt. Das gebe ich auf. Erstens will ich jetzt endlich links abbiegen und zum Bahnhof vorstossen, um Geld zu holen, und zweitens sollte ich doch dringend aufs Häuschen.
Schon wieder Linksabbiegen verboten. So komme ich doch nie zum Sihlparkhaus. Endlich der Löwenplatz, ich sehe den Bahnhof. Linksabbiegeverbot, Schritttempo, Rot, Fussgänger, Hitze.

Da, das Globusparkhaus, da fahre ich hinein. «Besetzt», blinkt es mit roten Leuchtbuchstaben. Zurück kann ich nicht, hinter mir sind schon andere. Ich fahre in die Schleuse. Rot, immer rot. Ich zögere, hinter mir ein Hupkonzert. Man macht mir den Vogel, ich solle doch einfach zufahren. Das tue ich. Durch Kehren fahre ich hinab, jede Parkebene ist voll belegt. Mein Gott, wollen die alle hier parken und einkaufen. Ich will ja nur schnell einen Hunderter rauslassen da vorne und endlich Wasser lösen. Verdammt, das spüre ich immer deutlicher. Aber da gibt's keinen Ausweg aus dem irren Karussell. Ich bin zuunterst. Hinter mir eine Schlange. Alles verstopft. Einen Fremdenbonus geniesse ich nicht. Als Langwieser hängt an meinem Wagen vorne und hinten eine Zürcher Nummer.

Wer zu zweit ist, bleibt einfach quer in den Gassen stehen und schickt den Partner zum Einkaufen. Ich bin allein. Wieder hinauf zum Parkfeld im höheren Stock. Jetzt fluche ich schon laut. Da lachen ein paar Leute. Die sollen nur, die haben einen Parkplatz. Nichts wie hinaus, denke ich, da stinkt es, alle Motoren laufen, aber die Auffahrtsrondelle ist völlig verstopft. Lauter röhrende Auspuffe. Die Plastikabschrankungen flattern nervös im Abgaswind. Erstmals beginne ich mein Auto so richtig zu hassen. Ich will raus, einmal wegen der schlechten Luft und dann wegen meiner Blase, die mich nicht mehr in Ruhe lässt. Mein Fluchen hört keiner mehr. Es erstickt im Dröhnen der Motoren.

Nach einer geschlagenen Viertelstunde bin ich endlich am Ausgang, sehe die Barriere und Autofahrer, die gestresst zur Kasse rennen, weil sie schon zu lange hier drinnen sind. Fest entschlossen, das blöde Ding über den Haufen zu fahren, soll es nicht aufgehen, fahre ich darauf zu und schiebe das Ticket in den Schlitz. Gott sei Dank, die Schranke öffnet sich. Die frische Luft da draussen tut gut, obwohl sie gar nicht so frisch ist. Alles ist relativ. Bahnhofstrasse, Revier der Fussgänger. Die muss ich überqueren, und das zwingt mich zur Vorsicht, ich will mich mit denen nicht anlegen – eine Ohrfeige durch das offene Fenster hätte mir gerade noch gefehlt. Dafür werde ich beinahe vom blauen Züritram gerammt.

Endlich Bahnhof, Linksabbiegeverbot, was denn sonst. Ich umfahre das Hauptportal, biege in die Museumstrasse. Da steht ein Parkhaus, das einen friedlicheren Eindruck macht. Keine Schlange und auch keine Besetztlettern. Ich fahre hinein. Die Schranke öffnet sich nicht. Winzig klein lese ich über dem Einlassknopf: «Besetzt». Ich bin schon beinahe aufgelöst von Schicksal und Blasendruck, vergeude keine Kraft mehr durch Fluchen. Rückwärtsgang, hinaus. Da, beim Kunsthaus eine Parklücke für zwanzig Minuten. Endlich!

Jetzt bin ich allerdings bereits wieder fast soweit weg vom Bahnhof, wie zu Beginn der Tour. Im Eilschritt laufe ich los, nicht nur wegen den knapp zwanzig Minuten Zeit, die mir zur Verfügung stehen, sondern getrieben durch einen mächtigen Druck in meinem Bauch.

Es ist nicht meine Art, über solch intim menschliche Probleme zu schreiben, aber die Befreiung, die ich nach zehnminütigem Laufschritt beim Wasserlösen im Shopville erfahre, ist unbeschreiblich. Postomatkarte einschieben, Hunderter rausziehen. Nicht auszudenken, wenn der Apparat jetzt leer wäre, wie manchmal am Schaffhauser Bahnhof.

Fussmarsch zurück. Gerade rechtzeitig bin ich beim Auto, denn der Zeiger der Parkuhr steht schon bedrohlich auf Rot. Ich kann diese Farbe nicht mehr sehen.

Ich beschloss, mich nicht mehr zu ärgern, das hielt ich auch am Limmatplatz, wo ich aus ungeklärten Gründen statt nach links in die Langstrasse, wieder rechts über die Kornhausbrücke fahren musste und via Nordstrasse und Escher-Wyss-Platz nochmals in den Dauerstau auf der Hardbrücke geriet.

Auch nicht dann, als ich endlich meine Jacke in Empfang nehmen durfte, und mit einem Blick auf die Armbanduhr erkannte, wie ich rund fünf Viertelstunden für diese nette Stadtrundfahrt verblödelt hatte. Ich ärgerte mich erst spät am Abend, als ich durch das fast menschenleere Schaffhausen spazierte. In einem der noch wenigen beleuchteten Schaufenster entdeckte ich doch tatsächlich meine schöne, weisse Jacke. Zwei Franken billiger, notabene.

Harry Greis

Schaffhauser Bock 26. Juni 1986

➥ nach oben