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Johann Sebastian BachInterview mit Johann Sebastian Bach

 

Nur ganz selten gibt der mehr als dreihundertjährige Johann Sebastian Bach noch Interviews. Für ihn spreche die Musik, pflegt er zu sagen. Bei ganz besonderen Gelegenheiten aber bricht er manchmal sein Schweigen. Das Bachfest, eine Woche lang kultureller Mittelpunkt Schaffhausens, ist eine solche Gelegenheit. Wir haben uns mit dem königlichen Hofkomponisten von Sachsen, dem hochfürstlichen Kapellmeister zu Anhalt-Cöthen und dem Kantor an der Schule zu St. Thomas in Leipzig unterhalten.

 

 

Herr Bach, nun steht wieder Ihr Name ganz gross über der Stadt Schaffhausen. Sagt Ihnen Schaffhausen etwas?

Bach: Ich erinnere mich schwach an Schaffhausen. Ja, ich weilte einmal dort. Ja, ja das war es doch: Wir durften unsere Perücken nicht tragen, weil das irgendein kirchliches Verbot untersagt hatte.

 

Umfragen unter Musikern auf der ganzen Welt haben ergeben, Sie Herr Bach, seien der grösste Meister aller Zeiten. Ehrt Sie das?

Bach: Es freut mich. Aber ich strebte das nie an. Ich schrieb nicht für die Ewigkeit, denn ich war praktischer Musiker. Ich amtete beispielsweise als Kantor an der Thomasschule, und da hiess es ganz einfach, am Sonntag etwas auffzuführen, und das schrieb ich dann eben. Als Organist in Weimar komponierte ich Orgelwerke und als Kapellmeister in Anhalt-Cöthen war es weltliche Kammermusik, weil diese dort gebraucht wurde.

 

Das heisst, Ihre ganzen grossen Werke, wie die Matthäuspassion oder die h-Moll Messe komponierten Sie für den Moment?

Bach: In erster Linie schon, sicher hoffte ich, sie einmal in gedruckter Form in Händen zu haben und selbstverständlich dachte ich, jemand könnte sie später wieder aufführen, aber das Drucken von Noten war für mich unerschwinglich. Ich versuchte eigenhändig etwas weniges selbst in Kupfer zu stechen.

 

Die Matthäuspassion kam bei der Uraufführung nicht besonders gut an. Es soll auch kaum Zeitungsnotiz gegeben haben.

Bach: Das hat seine Gründe. Einmal führte ich sie szenisch auf, steckte die Solisten in historische Kleider - das fanden einige Leute zu theatralisch. Weit problematischer zeigte sich das Fehlen genügend guter Musiker und Sänger. Da ich zudem drei Chöre und zwei Orchester benützte, teilte sich das dann noch auf.

 

Sie haben die Matthäuspassion mit nur 17 Sängern pro Chor aufgeführt. Heute gehen verschiedene Dirigenten wieder auf diese Zahl zurück, sie wollen original sein, entspricht das Ihrer Vorstellung?

Bach: Also wenn schon original, dann mit schlechten Sängern, unterernährten Bürschchen und Musikern mit billigen Instrumenten. Nein, ich hätte weiss Gott gerne mehr und bessere Sänger gehabt. Zum Teil mussten sogar die Musiker noch mitsingen. Ich wehrte mich oft und heftig dagegen, einmal mit einer achtzehnseitigen Eingabe an den Rat. Zudem musizierten wir in kalten Kirchen, schlugen uns mit Feuchtigkeit, Stimmproblemen und dergleichen herum. Ich wünschte, ich dürfte die Matthäuspassion heute aufführen.

 

Bei Fürsten genossen Sie doch gute Anstellungen, vor allem in Cöthen. Sie verdienten recht, waren angesehen und hatten gute Musiker, die besten Instrumente. Warum haben Sie trotzdem die Stelle in Leipzig angestrebt, die Ihnen dann so viel Ärger bescherte?

Bach: Sehen Sie, zu meiner Zeit gab es für einen Musiker nur zwei Möglichkeiten: Angestellt zu sein an einem Hof oder bei der Kirche. In Cöthen, am Hof des Fürsten Leopold, pflegten sie den reformierten, das heisst den calvinistischen Glauben. Da konnte ich keine Kirchenmusik machen. Ich war aber zeitlebens nicht nur gläubiger Lutheraner, meine ganze Liebe galt immer der Kirchenmusik. Als zudem in Cöthen allmählich das Militär wichtiger wurde, als die Musik, trieb mich das nach Leipzig. Und später, als dort nicht alles so lief, wie ich es wünschte, hatte ich bereits eine grosse Familie. Ich wäre gerne nach Hamburg gegangen, aber für den Posten hätte ich viel Geld als Einstand bezahlen müssen, und das hatte ich nicht.

 

Aber in Weimar hatten Sie beides, Musik für den Fürsten und Kirchenmusik, sowie die Orgel. Da waren Sie aber nur siebeneinhalb Jahre.

Bach: Das waren siebeneinhalb Jahre zu viel. Zugegeben, es entstanden in dieser Zeit sehr schöne Werke, vor allem für die Orgel, aber die Demütigungen durch den Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar steigerten sich zum Schluss ins Unerträgliche. Ich bin ja kein Tor, mit dem man machen kann, was man will.

 

Nur Leipzig war da nicht besser. Sie mussten sogar Lohnkürzungen hinnehmen, weil Sie sich mit dem Rat angelegt hatten.

Bach: Sicher, ich lag mit dem Konsistorium ständig im Streit. Aber immerhin gelang es mir doch meistens, mich durchzusetzen.

 

Sie haben auch Tanzmusik gemacht.

Bach: Also Tanzmusik, wie Sie das heute verstehen, würde ich das nicht nennen. Aber ich musizierte wöchentlich einmal im Kaffeehaus Zimmermann in Leipzig, mit jungen Studenten, brillanten Musikern. Da trank man Bier, rauchte Tonpfeifen und hörte meine Musik. Das waren Höhenlichter.

 

Was halten Sie von modernen, heutigen Instrumenten? Synthesizer zum Beispiel?

Bach: Ich war immer allem Neuen aufgeschlossen, brachte selber an meinen Instrumenten Änderungen an und verbesserte sie. Auch führte ich die neue Art der Stimmung ein, die sogenannte wohltemperierte, die es ermöglicht, in allen Tonarten zu spielen. Und als das Hammerklavier erfunden wurde, begeisterte mich das, weil es neue Möglichkeiten brachte. Es ist gut, wenn immer wieder Neues erfunden wird. Selbstverständlich muss dann die Musik, die dafür geschrieben wird, auch dazu passen. Ich hätte übrigens viel dafür gegeben, wenn beispielsweise die Ventile an den Trompeten zu meiner Zeit schon erfunden worden wären.

 

Gegen Ende Ihrer Zeit galten Sie als altmodischer Musiker. Selbst Ihre Söhne hatten Ihre Tradition nicht aufrechterhalten. Und doch waren Sie der Zeit voraus. Wie kommt das?

Bach: Altmodisch, das heisst nicht mehr in Mode, war der strenge Kontrapunkt, für den ich Zeit meines Lebens mein Herzblut gegeben habe. Man wählte einfachere Linien, hob die Melodien heraus. Mit meinen Harmoniebildungen war ich allerdings der Zeit tatsächlich weit voraus. Die meisten Leute, auch Musiker selbst, begriffen sie noch gar nicht in ihrer Weite und Tiefe. Erst die Romantik verstand sie und gab ihr wieder Sinn und Zukunft.

 

Sie haben, obwohl man das eigentlich fast nicht merkt, Ihre Werke geradezu mathematisch konstruiert. Kann solche Konstruktion nicht trocken werde?

Bach: Wenn die Gesetze dazu dienen, die Musik zu schaffen, die man fühlt, und diese Gesetze die Musik nicht einfach beherrschen, dann ist das der Weg. Die Gesetze meiner Musik waren niemals trocken. Sie sind in der ewigen göttlichen Harmonie dieser Welt selbst so begründet, wie die Ordnung der Sterne.

 

Von Harry Greis

Schaffhauser Bock 5. Mai 1988


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