Josef Greis, mein GrossvaterSmallheader Kurzgeschichten

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Dieses kurze Porträt aus der Perspektive eines Kindergärtlers habe ich vor ein paar Jahren für den Turnverein Ramsen geschrieben. Sie feierten das 75jahr-Jubiläum. Nun ist es mir wieder in die Hand gekommen und ich denke, es hat einen Platz auf dieser Seite verdient. Denn wie gesagt: Wer kann denn schon einen solchen Grossvater mit einem solchen Turnerband vorweisen.

 

 

Josef GreisErzählt von Harry Greis

Damals, als mein Grossvater auf dem Glatteis ausrutschte und starb, besuchte ich noch den Kindergarten. So sind es kindliche Erinnerungen, die mir von ihm geblieben sind - genauer gesagt, eigentlich zwei Bilder: Der Taxichauffeur und der Oberturner.

Als Taxichauffeur lehnte er jeweils an seinem schwarzen Citroen vor dem Winterthurer Bahnhof. Stets trug er eine weisse Schirmmütze - „Büsimütze“ sagte man damals. Einen Grossvater mit einem Auto fanden wir Kinder toll. Das Auto war es ja auch, das ihn mit seiner Familie Jahre früher nach Ramsen gebracht hatte. Als Herrschaftschauffeur diente er damals bei den Gebrüdern Sulzer und einer dieser Sulzerbrüder wohnte zeitweise in der Bibermühle. Von dort aus fuhr der Oberturner - nicht etwa mit dem Herrschaftswagen, sondern mit dem Velo - nach Ramsen, wo er den Turnern des Turnvereins vorturnte.

Er soll aber auch in der Bibermühle geturnt haben. Der Job als Herrschaftschauffeur brachte die Verpflichtung mit sich, bei Empfängen den Butler zu spielen. So musste mein Grossvater zum Diner als Kellner auftreten und mit hochgestemmten Silberplatten den Zug der Dienstmägde ins Speisezimmer anführen. Und dann zuvor, draussen im Gang, soll er jeweils, die Platte respektlos aufs Parkett gelegt, die Hände links und recht daneben auf den Boden gestellt, einen klassischen Handstand darüber geschwungen haben. Das war natürlich den Dienstmägden gegenüber nicht sehr nett, denn diese mussten nun im Gänsemarsch hinter ihm her ins Zimmer schreiten und durften dabei die ernsten Minen nicht verziehen.

Selber sah ich meinen Grossvater nie turnen - mindestens kann ich mich nicht daran erinnern. Erinnern tu’ ich mich aber an das Foto über dem Schreibtisch meines Vaters, wo Grossvater im Turnertrikot, stolz die Brust gestellt und die Arme darüber verschränkt, den Schnauz gewichst und das Haupt mit Lorbeer bekränzt, streng auf uns herunterblickte. Dabei sprang uns das doppelte, über und über mit metallenen Plaketten besetzte Turnerband ganz besonders ins Auge. Grossmutter schenkte es uns später und wir trugen es vor allem dann gern zum Spielen, wenn andere Kinder da waren. Es eignete sich nämlich ausgezeichnet zum Prahlen. Wer konnte denn schon einen solchen Grossvater mit einem solchen Turnerband vorweisen.

Da gab es aber auch noch Kränze, einen ganzen Schrank voll. Der Schrank hatte Glastüren und dahinter hingen sie an einer Querstange, dicht nebeneinander. Grün waren sie alle, die einen überdies mit silbernen und goldenen Blättern durchsetzt. Dazwischen lugten rote Beeren hervor und unten baumelten längsgestreifte Bänder.

Ich erbettelte einen Kranz. Da öffnete meine Gotte den Schrank, löste die Stange und liess zu meiner Überraschung den ganzen, mit Schweiss und Fleiss erworbenen Triumph in meine Arme gleiten. Da stand ich nun: ein Kindergärtler in einem riesigen Wusch von Turnerkränzen.

Meine Schwester hat mir kürzlich gesagt: „Du hast die Kränze alle verschenkt.“ Aber da musste ich protestieren, ich habe sie nicht verschenkt, - ich habe sie verliehen. Im Kindergarten organisierte ich nämlich eine Olympiade mit verschiedenen Disziplinen: Weitsprung im Sandhaufen, Schnelllauf über den kiesbelegten Pausenplatz, Böckligumpen, Sackgumpen und ich weiss nicht mehr was alles. Und in jeder Disziplin gab es einen Sieger oder eine Siegerin, denen ich feierlich einen Kranz aufs Haar setzte. So besassen am Schluss fast alle Kindergärtler von Langwiesen einen Kranz von meinem Grossvater, nur ich selber hatte keinen mehr. Später habe ich’s schon bereut. Aber was soll’s, die Erinnerung an meinen oberturnenden Grossvater ist trotzdem geblieben, und ich denke, er hätte sich darüber gefreut. Er selber hatte sie doch mit sportlicher Leistung erworben. Warum sollten sie nicht weitergehen, durch sportliche Leistung von Kindern?

Harry Greis

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